Lothar Schwalm

Lothar Schwalm wurde 1968 in Kassel geboren. Er ist Sozialarbeiter und Peer Counselor, ISL e.V.. Als Kind lebte er vier Jahre lang mit seiner Familie in Afghanistan, mit zehn Jahren kehrten sie nach Kassel zurück. Seit seinem dritten Lebensjahr lebt er mit dem Tourette-Syndrom (neuro-psychiatrische Erkrankung mit unwillkürlichen motorischen und vokal-sprachlichen Tics), das aber erst diagnostiziert wurde, als er schon 18 war. Nach dem Abitur studierte er in Kassel Sozialwesen. Dort engagierte er sich im Autonomen Behindertenreferat des AStA und kam zur Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. In Kassel und später in Mainz war er dann mehr als zehn Jahre lang Mitorganisator des jährlichen bundesweiten Protesttags für die Gleichstellung behinderter Menschen. Seit 1998 ist er im Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) Mainz in der Beratung und Interessenvertretung behinderter Menschen tätig.

Meine Einschränkungen waren mir nicht so bewusst gewesen. Deshalb hatte ich mich auch nie als behindert begriffen. Und dann kam Chrischi (Christian Judith) und sagte: „Aber du wirst doch auch diskriminiert!“ Da habe ich nicht nur mit einem Mal begriffen, dass ich auch behindert bin, sondern dass Behinderung im Wesentlichen mit Diskri-minierung beziehungsweise mit Diskriminiertwerden zu tun hat. Das ist für mich bis heute ein ganz elementarer Bestandteil der Definition von Behinderung – und nicht unbedingt, was ich kann oder nicht kann.

Wir sind bei unseren Veranstaltungen und Demos sicherlich ein Stück gemäßigter geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass die Demos und Aktionen vor Ort stark von den Zentren geprägt sind. Und diese Zentren für selbstbestimmtes Leben be-hinderter Menschen brauchen Geld, was sie regulär nur selten haben. Wir sind immer in einer Bitt- und Bettelstellung und müssen uns deshalb auch ein Stück weit anpas-sen an die potenziellen Geldgeber.

Aber ich habe das Gefühl, dass ein bisschen das Bewusstsein darüber verloren ge-gangen ist, wie wir alten Hasen in der Bewegung mal begonnen haben. Die Bewe-gung muss ja nicht unbedingt in ihrer ursprünglichen Form weiter bestehen. Dinge ändern sich, das ist normal. Aber ich glaube, es wäre schön, wenn wir auch in zehn Jahren noch sagen können: Es gibt eine Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Deutschland.

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